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Posts Tagged ‘Brandenburger Tor’

Am 3. Oktober war wieder eine bunte, feiernde Menschenmenge am Brandenburger Tor unterwegs. Nur dass 2008, neunzehn Jahre nach dem Mauerfall und achtzehn nach der Wiedervereinigung, eine ganze Generation kaum noch weiß was und warum da gefeiert wird. Das wiedervereinigte Deutschland wird volljährig, heißt es – aber die, die mit ihm volljährig werden, können sich an die Mauer nicht erinnern. Das freut mich für sie. Und dennoch – erzählen wir ihnen genug davon? Erinnern wir uns selbst?
Als Kind habe ich mit großen Augen zugehört, wenn die Erwachsenen vom Krieg erzählten. Als Jugendliche haben wir mit den Augen gerollt, wenn sie vom Krieg erzählten – wieder einmal. Und als Erwachsene haben wir wieder zugehört und zum ersten Mal verstanden. Heute werde ich von der Mauer erzählen, und wenn die Jugendlichen noch so oft mit den Augen rollen. Sollen sie ruhig. Eines Tages werden sie zuhören und wie ich erkennen, dass es wichtig ist, die Geschichten zu erzählen und zu hören.
Aus diesem Grunde habe ich zusammen mit zwei anderen Berliner Autorinnen dieses Projekt gestartet. Natürlich auch für mich selbst, um die Vergangenheit mit der Mauer nachträglich zu begreifen. Als ich klein war, versuchte man mir zu erklären, warum man nicht einfach Sonntags auf eine Wiese fahren und ein Picknick machen konnte oder auf einem Bauernhof die Kühe besuchen. „Berlin ist eine Insel“ sagte man mir, und ich freute mich, denn das Meer kannte und liebte ich. Doch irgendwann begriff ich, dass kein Meer die Stadt umgab sondern dass jeder Ausflug an einer Mauer endete, an einer Mauer, die eine hässliche Krone aus rostigem Stacheldraht trug und hinter der Männer mit Gewehren lauerten. Diese Mauer schnitt Straßen mittendurch. Ich verlebte eine glückliche, normale Jugend in dieser Stadt, doch die Fassungslosigkeit angesichts des Mauerphänomens und was die Menschen einander damit antaten ließ mich nie los. Ebenso verblüfft mich bis heute mich das erstaunliche Ende dieses grotesken deutschen Kapitels, das uns so vieles über uns selbst lehrt. Und ich wünsche mir ein Buch, das die menschlichen, nicht die politischen Geschichten festhält, Geschichten, die einfach passiert sind, die wahr waren in einer Wirklichkeit, die kaum zu erklären ist. Sie haben es verdient, festgehalten zu werden, damit wir nicht allzu selbstverständlich und gedankenlos eine Straße entlang spazieren, die frei vor uns liegt. Ich wünsche mir viele Menschen, die uns für dieses Buch ein Erlebnis schicken, einen Gedanken, eine Erinnerung.

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